Sie ist ein Symbol für die Bindung zwischen Zwei- und Vierbeiner, sollte ein Band des Vertrauens sein und dem Hund Sicherheit geben. Doch die Leine fungiert auch als Stimmungsüberträger und hat direkte Auswirkungen auf das Verhalten. Im positiven wie im negativen Sinn – und auf beiden Seiten.
Ein Hund benötigt Freiraum, um zu toben oder sein Geschäft zu verrichten,
Botschaften zu hinterlassen und nicht zuletzt, um eine gesunde Sozialisierung zu
erfahren. Er muss sich selbstständig mit Artgenossen auseinandersetzen können, ohne
dass der Mensch sich zu sehr einmischt. Nun kommt aber die Leine ins Spiel und mit ihr hat
der Halter ein Machtinstrument in der Hand. Eins, das er oft unbemerkt und in schleichenden
Prozessen als Erziehungsmittel benutzt.
Es kommt nicht nur auf die richtige Leine an
Die Auswahl ist groß. Doch ob Führstrick, Schlepp- oder Rollleine – auf den richtigen
Umgang kommt es an, und auch die Frage, ob der Vierbeiner an der Führungshilfe, die sie
letztendlich ist, wirklich alle Freiheiten haben soll, muss erlaubt sein. Denn genau mit diesem
Argument wird gerne die Rollleine verkauft. Dabei ist dieses spezielle Konstrukt mit seinem
Abrollmechanismus umstritten und nicht für jeden Hund geeignet. Sie bietet ihm zwar einen
größeren Bewegungsspielraum, er ist jedoch damit, insbesondere bei Begegnungen mit Artgenossen, nicht wirklich unter Kontrolle – und wenn es darauf ankommt auch nicht ausreichend gesichert. Hinzu kommt, dass an der Rollleine eine permanente Spannung auf Halsband oder Geschirr lastet, Bello also ständig und im wahrsten Sinne unter Druck steht. Absolut tabu ist sie für stark ziehende Kandidaten, Welpen und Pfoten, die erst lernen müssen, entspannt an der Leine zu gehen.
Um die richtige Wahl zu treffen, ist das Verhalten des Vierbeiners maßgeblich. Springt er
ständig hinein, drängt er extrem nach vorne, schnüffelt ewig lange oder verbellt daran Artgenossen? Dann kann mit dem falschen Instrument ein Spaziergang erst recht zur Tortur
werden, die Stimmung an beiden Enden kippen und im schlimmsten Fall eskalieren.
Ein No-Go für den Leinenruck
Der Leinenruck ist wohl die am häufigsten falsch angewandte Erziehungsmethode. Diese Methode ist mehr als fragwürdig, sowohl in psychischer und physischer Hinsicht.
So mancher Halter mag eine gewisse Lust bei dieser „Sadomaso-Praktik“ empfinden, doch
respektloser geht es kaum. Frei nach dem Motto „Ein kleiner Klaps auf den Hintern schadet
nicht“ wird mittels Leine an Halsband und Geschirr gezuckt. Für den Hund fühlt sich das
nach kleinen Stromschlägen in Nacken oder Rücken an. Kann er nicht ausweichen, ist es
nur zu verständlich, dass er sich irgendwann umdreht und die Zähne zeigt. Wird dann
noch nachgelegt, ist die Eskalation vorprogrammiert. Oder aber, die komplette Resignation. Gewaltfrei geht anders!
Zahlreiche Vierbeiner legen sich ein dickes Fell zu, ignorieren Wut und Schmerz. Sie gehen teilnahmslos an der Leine, ihre Halter sind angespannt und verzweifelt. So hatten sie sich die Spaziergänge mit ihrem besten Freund nicht vorgestellt.
Zu viel Druck statt Verständnis
Hunde wissen ziemlich genau, was wir von ihnen wollen. Dank ihrer kognitiven Fähigkeiten lernen sie durch Versuch und Irrtum, selektiv und durch Beobachten. Sie können sich sowohl in ihren Menschen als auch in Artgenossen hineinversetzen. Ihre soziale Kompetenz und
Kooperationsbereitschaft sind unschlagbar. Längst ist bekannt, dass sie eben keine bedingungslosen Befehlsempfänger sind, die nicht mitdenken können. Entsprechend
diesem Bewusstsein und Verständnis sollten wir handeln. Wir müssen nicht mit althergebrachten oder auch neuen Methoden über unsere tierischen Partner drüberbügeln oder ihnen Schmerzen zuzufügen.
Jeder Hund hat eine eigene Persönlichkeit. Jeder tickt anders, der eine braucht mehr, der andere weniger Zeit für seine Lernerfahrungen. Was aber alle Schnauzen von
uns erwarten dürfen, sind ein respektvoller Umgang und ein Minimum an Geduld. Und es ist nicht damit getan, den Vierbeiner nur an die Leine zu legen, um bestimmte
Verhaltensweisen zu verhindern. Die Verbindung durch sie ist stark und hochfrequentiert. Mit
etwas Aufmerksamkeit bekommt der Mensch schnell mit, was am anderen Ende passiert. Ist der Hund interessiert, ihm zugewandt, abgelenkt, aufgeregt, unsicher
oder wütend? Umgekehrt gilt das Gleiche, auch Bello erhält diese Informationen von uns.
Wie viel Distanz braucht ein Hund?
Neben seinen bisherigen Lernerfahrungen hat jeder Fellpartner ein bestimmtes Distanzgefühl an der Leine. Das Vorbeigehen an Artgenossen entspricht oft nicht den Regeln
eines Hundes. Ein direktes Aufeinanderzulaufen bedeutet für ihn Konfrontation. Kein Wunder, dass er sich dann aufregt und regelrecht explodieren kann. Dabei möchte er vielleicht nur höflich ausweichen, hat schon Beschwichtigungsgesten gezeigt, versucht die Seite zu
wechseln oder ist langsamer geworden.
Doch die Signale kommen am anderen Ende nicht an oder werden ignoriert. Manchmal entsteht dieses reaktive Verhalten auch aus dem Interessenkonflikt zwischen Nähe und Distanz. Einerseits ist die Begegnung mit dem Artgenossen verlockend, andererseits überfordert der direkte Kontakt durch die eingeschränkten Ausweichmöglichkeiten an
der Führungshilfe.
Dann nur das Verhalten als Symptom zu betrachten und es zu deckeln, wird dem Vierbeiner nicht gerecht und ebenso wenig nützen. Es ist immer abhängig von seinem Befinden, der jeweiligen Situation, dem Umfeld und seinen bisherigen Erfahrungen. Seine Körpersprache ist
eindeutig und er sendet viele kleine Signale aus, die erkennen lassen, in welcher Stimmung er sich befindet.
Die Leine als Band des Vertauens
Die besten Voraussetzungen dafür sind Geduld, Einfühlungsvermögen, Konsequenz und gut durchdachte Trainingsmaßnahmen sowie die Bereitschaft, mit dem Hund gemeinsam
einen Lernprozess zu durchleben. Höhen und Tiefen wird es immer geben, wir müssen lernen, diese hinzunehmen, ohne sie zu bewerten.
Achtsamkeit ist ebenfalls ein wunderbares Mittel, um den Druck aus dem Geschehen zu nehmen. Feiern wir doch die kleinen Erfolge wie den Moment, in dem unser Vierbeiner plötzlich mit uns weitergeht, anstatt sich in die Leine zu hängen und sein Gegenüber zu verbellen, oder weniger stark an ihr zieht. Wenn wir den Fokus darauf legen und nicht mit einer vorgefertigten Meinung vom Negativen ausgehen, sind wir auf dem richtigen
Weg, eine souveräne Führung zu erlangen. Loben gehört unbedingt mit dazu und ist die beste Motivation überhaupt.
Positiv denken ist die beste Strategie
Mit positiver Stimmungsübertragung kann ein normaler Gassigang zum Erlebnis für beide Sozialpartner werden. Sagen Sie Ihrem Hund ruhig: „Hey, es geht nach
draußen, ich habe richtig Lust auf gute Luft und Bewegung, mal schauen, wen wir auf der Wiese treffen.“ Bleiben Sie mit den Gedanken bei ihm und möglichst entspannt. So wie am Anfang, als die Freude über das Fellbündel riesig war.
Wenn der Druck an der Leine zu groß wird, gibt es zunächst nur eine Strategie, und die
liegt im Umdenken, in unserem Perspektivwechsel. Betrachten wir die Leine doch als
Führungshilfe, denn nichts anderes ist ihr eigentlicher Sinn. Eine Unterstützung im Alltag und
in Situationen, die wir als Mensch einschätzen können, unser bester Freund jedoch nicht. Wir sind das Ende der Leine, das klug entscheidet und liebevoll waltet. Wir sind wie Verkehrspolizisten, die dafür sorgen, dass keine Unfälle geschehen, wenn alle Ampeln oder Signale ausgefallen sind. Wir führen unseren Hund durch sämtliche Gefahren und sind
mit ihm verbunden. Ein schöner Gedanke – wohlgemerkt abseits von Leinenruck und anderen erzieherischen Katastrophen. Suzanne Eichel